Rauschiger Keiler: Tipps und Tricks zu einwandfreiem Wildbret
Schwarzwild rauscht mittlerweile das ganze Jahr, doch richtig zur Sache gehts nach wie vor im November und Dezember. Werden Keiler in dieser Jahreszeit gestreckt, bemerkt der Jäger schnell, dass sie meistens streng, sehr streng riechen. Doch warum «stinken» sie eigentlich? Riecht nur die Schwarte oder auch das Wildbret streng? Berufsjäger Gianni Parpan erläutert uns, wie rauschige Keiler trotz allem sinnvoll verwertet werden können.
Die Erlegung eines reifen Keilers gehört sicherlich zu den Höhepunkten eines jeden Schweinejägers. Doch wie steht es um die Verwendbarkeit des Wildbrets, wenn der Basse während der Rauschzeit gestreckt wird. Und wie kommt es eigentlich dazu, dass der für uns Menschen abstossende Geschlechtsgeruch des Keilers quasi auf den Teller kommt? In der Ausbildung zum Berufsjäger haben wir gelernt, dass es vor allem biochemische Zusammenhänge sind, die insbesondere beim Erhitzen des Wildbrets dazu führen, dass das Wildbret diese «Keilerwürze» erhält. Beim Hausschwein, respektive beim geschlechtsreifen Eber, ist dieser strenge Geruch übrigens identisch, wird jedoch durch eine möglichst frühe Kastration bereits im Ferkelalter verhindert.
Starker Geruch für eine lange Bindung
Eine der Ursachen für diesen für uns Menschen unangenehmen Geruch ist das Androsteron, ein männliches Geschlechtshormon, das in den Klötzen (Hoden) gebildet wird. Mit zunehmendem Alter, also im Zuge der sexuellen Reifung, steigt die Produktion dieses Steroids stark an. Es wird über den Speichel abgegeben, zirkuliert im Blut, und wird aber auch als Reserve im Fettgewebe eingelagert. Androsteron fungiert in Form von Pheromonen als sexueller Botenstoff. Wer schon einmal die Gelegenheit hatte, Schwarzwild bei der Paarung zu beobachten, wird festgestellt haben, dass das Beschlagen einiges länger dauert als zum Beispiel bei Rot- oder Rehwild. Dies erfordert eine lange Duldungsphase der Bache, also ein längeres Verharren in der Kopulusposition. Damit sie dies duldet, ist es notwendig, sie zu bezirzen, quasi geruchlich bei Laune zu halten. Daher wird das im Fettgewebe des Keilers eingelagerte Androsteron beim Kontakt mit einer rauschigen Bache mobilisiert und über den Speichel freigesetzt. Dieser Schaum im Bereich des Gebrechs kann nicht selten vom Jäger bereits am lebenden Keiler beobachtet werden.
Treffpunktlage hat Einfluss auf den Geruch des Wildbrets
Damit auch ein rauschiger Basse zu einem guten, unbedenklichen Lebensmittel wird, hat die Wildbrethygiene höchste Priorität. Das fängt schon bei der Schussabgabe an und setzt sich mit dem unverzüglichen Aufbrechen des Stückes fort. Ziel ist es, das Herz, respektive die Herzbasis zu treffen, damit das Tier optimal ausschweissen kann. Ideal ist eine kurze Todesflucht von ca. 50 bis 80 m, bei der noch möglichst viel Schweiss aus dem Wildkörper verloren geht. Keiler sollten also einen gut platzierten, tiefen Blattschuss haben. Denn bei Stücken, welche im Knall verenden, zum Beispiel bei Tellerschüssen, stockt der Schweiss im Wildkörper, was sich wiederum negativ auf den Geruch des Wildbrets auswirken kann. Nach der Erlegung sollte der rauschige Keiler umgehend in eine nahegelegene Wildkammer zur weiteren Bearbeitung gebracht oder so rasch wie möglich vor Ort aufgebrochen werden. Der sofortige Transport in eine Wildkammer stellt in meinen Augen die bessere Variante dar, da die hygienischen Verhältnisse nebst ausreichender Beleuchtung dort besser sind.
Einwandfreies Aufbrechen ist matchentscheidend
Nur hygienisch einwandfreies Aufbrechen, mit dem Wissen, dass Klötze, Samenstränge und Prostata eine Einheit bleiben, kann das Verwerfen oder Verderben des Wildbrets verhindern. Wir bringen dazu den Keiler in die Rückenlage und starten, indem wir den Pinsel anheben und zwischen Bauchnabel sowie Pinsel die Schwarte durchschärfen. Die Klinge sollte flach an der Bauchdecke entlanggeführt werden. Rund um den Pinselausgang (Präputium) sitzt der bis zu faustgrosse Präputialbeutel. In diesem befindet sich neben Harn auch das Sekret der Geschlechtsdrüsen, welches, wie man sich vorstellen kann, «bestialisch» stinkt. Wer dort einmal hineingeschnitten hat, wird dies, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, nicht so schnell vergessen. Ich empfehle, diesen ca. Bierdeckel grossen Rundumschnitt um den Pinselausgang aber sowieso bei allen männlichen Schwarzkitteln, denn schon beim Frischlingskeiler kann diese «stinkende Brühe» vorhanden sein. Nun fassen wir den Pinsel an den umgebenden Borsten, heben alles etwas hoch und setzen Pinsel und Brunftrute Richtung Becken ab. Es ist kein Problem, die Brunftrute über dem Becken abzuschneiden, da sich die Harnröhre von selbst wieder verschliesst. Selbstverständlich sollte der Jäger für diese Arbeit Schutzhandschuhe tragen, sonst wird ihn der Keilergeruch ungewollt noch einige Tage persönlich begleiten. Nun wird der Keiler ganz normal aufgeschlosst. Bei einem reifen Keiler müssen wir hierzu allerdings die Aufbruchsäge verwenden (Achtung Harnblase nicht verletzen!). Denn hier ist die Schlossnaht so stark verknöchert, dass wir sie nicht wie beim Reh oder der jungen Sau mit dem Messer einfach durchbrechen können. Ist der Schlossknochen dann sauber aufgetrennt, nimmt man Harnblase, Prostata mit Samentasche, Samenstränge und Klötze als Ganzes in einer Einheit unversehrt vorsichtig heraus. Bei sauberer Arbeit ist kein Tropfen der extrem riechenden Flüssigkeit ans Wildbret gelangt. Anschliessend kann das Stück ganz normal fertig aufgebrochen und die restlichen Organe können aus Bauch- und Brustraum entnommen werden.
Lagerung und Abschwarten
Rauschige Keiler sollte man nie in der Decke reifen lassen. Folglich steht nach dem Aufbrechen gleich das Abschwarten in der Wildkammer an. Dazu werden als erstes neue Schutzhandschuhe übergestreift und die Messer gewechselt bzw. gründlich gereinigt. Viel vom geschlechtsspezifischen Geruch des Keilers hängt in seiner Schwarte. Das Abschwarten eines noch warmen Keilers geht übrigens viel zügiger voran, als das eines gekühlten. In einer halben Stunde ist dies gut zu schaffen. Da das «Eberhormon», wie bereits erwähnt, leider auch im Fettgewebe gespeichert wird, habe ich angefangen, beim Abschwarten so vorzugehen, dass möglichst viel «Weisses» (Unterhautfettgewebe) an der Schwarte bleibt. Sonst müsste man es nach dem Abschwarten wie bei einer Orange mit dem Messer aufwendig herunterschälen. Es folgt das intensive Abduschen des zwingend noch warmen Tierkörpers mit sanftem Wasserstrahl, so wie dass jeder Metzger bei seinen Schlachttieren macht. Hämatome im Ein- und Ausschussbereich werden sorgfältig umschärft und ausgespült. Nun kann der Keiler «nackt» 4 bis 6 Tage bei max. 4 Grad Celsius in der Kühlung reifen. Anschliessend wird er zerwirkt und darf nochmals ein paar Tage, vom Knochen gelöst, im Vakuumbeutel nachreifen.
Kochproben für Frauennasen
Doch ist der rauschige Keiler auch ein genusstaugliches Lebensmittel? Unabhängig davon ist zunächst die amtliche Trichinenuntersuchung vorgeschrieben. Diese beantwortet aber nicht unsere Frage: «Stinkts oder schmeckts?» Deuten einige Anzeichen trotz den eben empfohlenen Arbeitsschritten auf ein rauschiges Wildbret hin, empfiehlt es sich, zeitnah eine Koch- und Bratprobe durchzuführen. Dazu entnimmt man vom Tierkörper ein 100 bis 200 Gramm grosses Stück Wildbret und kocht es 5 bis 10 Minuten. Stinkt es schon beim Kochen oder Braten, wird es problematisch. Doch Vorsicht: Jedes Stück Schweinefleisch hat beim Kochen oder Braten ohne Gewürze einen speziellen Eigengeruch. Hier lohnt es sich auch, verschiedene Personen probieren zu lassen, denn nicht jeder hat eine gleich feine Nase. Zudem bestehen individuelle und geschlechterspezifische Unterschiede in der Wahrnehmungsfähigkeit dieses Geruches. Frauen sind in dieser Hinsicht viel empfindlicher, Asiaten sollen auch sehr sensibel sein, Briten dagegen eher unempfindlich.
Einfrieren, Salzen und Pökeln können helfen
Führt die Kochprobe zum Ergebnis, dass das Wildbret des Keilers immer noch durch die Rausche betroffen ist, gibt es eine Methode, die immerhin zu 90 Prozent der Fälle dazu führt, dass das Wildbret absolut geniessbar wird. Hierzu frieren wird das ausgelöste Fleisch im Vakuumbeutel ein. Möglichst kälter als –22 Grad Celsius. Nach 6 bis 8 Wochen taut man das Wildbret wieder auf. Viel Flüssigkeit läuft aus. Nun wird das Wildbret durch einen Fachmann ausgiebig gepökelt, anschliessend gewässert. Dann in Lake mariniert und geräuchert oder luftgetrocknet. Durch das Pökeln und Lufttrocknen wird dem Wildbret sehr viel Flüssigkeit entzogen. Der Erfolg hängt hier auch vom Fachwissen des Rauch- und Trocknungsmeisters ab. Aber gerade an der berühmten Bündnerluft kann so auch ein alter Keiler bei entsprechender Verarbeitung zu hervorragenden und delikaten Wildschweinbinden reifen: quasi Wildschwein-Bündnerfleisch oder -Mostbröckli. Kleine Stücke (Wurst- und Hackfleisch etc.) verarbeitet man im selben Verfahren am besten zu Trockenwürsten, sprich Salsiz oder Salami. Werden diese Produkte jedoch entgegen den normalen Verzehrgewohnheiten erhitzt, kann dies für besonders empfindliche Nasen wieder mit dem Freiwerden der Keilergeruchssubstanz verbunden sein.
Die Verarbeitung eines rauschigen Keilers ist zwar mit etwas mehr Aufwand, Vorsicht, Handwerk und Zeit verbunden, als bei einem normalen Stück Schwarzwild, aber auf jeden Fall lohnenswert. Bei der Jagd auf Schalenwild muss immer die Verwertung als Lebensmittel angestrebt werden, sonst handelt der Jäger (zum Beispiel in Deutschland) sogar gesetzeswidrig. Denn zum Töten von Wild muss ein vernünftiger Grund vorliegen. Reine Trophäenjagd ist heute kaum mehr zu rechtfertigen und absolut unverständlich bei dem gesunden und hochwertigen Lebensmittel «Wild». In diesem Sinne, Weidmannsheil und einen guten Appetit.
Fotos: Karl-Heinz Volkmar, Sven-Erik Arndt, Gianni Parpan