Hirsche rufen: alter Tabak oder gekonntes Handwerk?

Das Röhren eines reifen Hirsches, das umrahmt von verschneiten Bergspitzen, goldigen Lärchen und kühlem Morgennebel durch das Bergtal hallt, legt eine Mystik über den Herbstmorgen, die kaum ein Jägerherz kalt lässt. Wie wir Brunftschreie des Rotwildes imitieren können, wie diese jagdlich eingesetzt werden, und welche Laute Berufsjäger Gianni Parpan neben dem «Röhren» des Hirsches noch zur Lockjagd auf den Brunfthirsch einsetzt, erklärt er uns in einem spannenden Beitrag zur Hirschbrunft.

Veröffentlicht am 08.09.2022

Ein deutscher Berufskollege vom Schliersee, Wildmeister und Hirschruf-Koryphäe Konrad Esterl hat einmal gesagt: «Die Balz des Auerhahns ist die Overtüre, die Blattzeit das leise Crescendo und die Hirschbrunft die Symphonie des Jagdjahres». Und genauso fühle ich mich manchmal, wenn ich im steilen Bergtal zusammen mit einem Jagdgast beim Angehen der Hirsche irgendwo hinter einer Legföhre knie, und dem mächtigen Brunftkonzert um uns herum aufmerksam horche, als wären wir von einem riesigen Symphonieorchester umgeben. Doch als Jagdführer gilt meine Aufmerksamkeit zwingend auch den meist stummen Protagonisten der Brunft, dem Kahlwild. Mache ich hier einen Fehler, und das weibliche Rotwild bekommt uns mit, ist der Genuss von ungestörten Brunftszenen aus unmittelbarer Nähe sofort vorbei. Der Hirsch selbst mit seinen vom Sexualtrieb getrübten Sinnen, ist da viel weniger heikel.

Die Mädels müssen sich wohlfühlen
Gerade im Kanton Graubünden mit seinen vielen kleinen Wildschutzgebieten, im Bündner Volksmund auch Wildasyle genannt, wird oft diskutiert: Was war zuerst, der Brunftplatz oder das Asyl? Hat man das Gebiet geschützt, weil er ein wertvoller Brunftplatz ist, oder brunftet das Rotwild an dieser Stelle, weil es hier Ruhe und Schutz findet. Egal wie man es sieht, es ist Fakt, dass der Rothirsch da brunftet, wo das Kahlwild einsteht. Die Wildbiologie ist sich heute auch einig, dass es die Hirschkühe sind, mit ihrem ansteigenden Östrogenspiegel (Brunfthormon), die bestimmen, wann die Brunft beginnt, wie lange sie dauert und wo die Brunft stattfindet. Der Hirschstier treibt, wie vielfach angenommen, das Brunftrudel nicht vor sich her, sondern folgt seinem Harem das von einen erfahrenen, in der Regel säugenden Alttier angeführt wird. Möchte ich also einen guten Brunftplatz im Revier haben, muss ich Flächen schaffen, wo sich das Kahlwild zur Paarungszeit wohl- und sicher fühlt, ein guter Indikator hierfür ist eine hohe Tagesaktivität beim Rotwild.

Kombination aus Pirsch und Ansitz
Die Jagd auf den Hirsch an sich ist dann meist eine Kombination aus Ansitz und Pirsch. Oft sitzen wir erst an, um die Hirsche zu verhören und zu bestätigen. Meldet ein bekannter Hirsch verlässlich und kann bestätigt werden, wird (falls entschieden wurde auf diesen zu jagen) versucht, ihn anzugehen, sofern Licht, Wind und Örtlichkeit es zulassen. Günstig dafür ist der frühe Morgen bei Tagesanbruch. So gerate ich als Pirschführer nicht unter Zeitdruck, denn die Lichtverhältnisse werden zunehmend besser. Die Gegebenheiten vor Ort und das Verhalten des Rotwildes entscheiden, ob wir bereits im Dunkeln oder beim ersten Büchsenlicht den Hirsch verhören. Störungen des Rotwildes lassen sich bei Licht einfacher vermeiden. Meldet ein Hirsch anhaltend, pirschen wir rasch, aber lautlos, immer ein Auge auf das Kahlwild gerichtet, so weit heran, dass wir ihn ansprechen können. Bei einem suchenden und dabei flott ziehenden Hirsch habe ich festgestellt, dass es hoffnungslos ist, Schritt halten zu wollen. Sein Tempo ist für den Jäger zu hoch. Zieht der schreiende Hirsch jedoch langsam mit Kahlwild dem Einstand entgegen, schneidet der erfahrene Jäger dem Wild den Weg ab und passt es an einer übersichtlichen Stelle ab. Das sind aufregende und lange Minuten, denn vertrautes Wild lässt sich beim Aufsuchen des Tageseinstandes oft viel Zeit. Verstummt der Hirsch gar, braucht der Jäger nun Geduld und ein bisschen Glück.

Einfühlungsvermögen und Musikgehör
«Genau zuhören und Stimmlage halten» hat einer meiner Lehrmeister immer gesagt. Anders als beim Rehwild zur Blattzeit, wo es keine Rolle spielt, wenn vom selben Platz aus zunächst ein Kitzfiep, dann ein Schmalrehlaut ertönt und anschliessend in tieferer Lage eine Geiss ruft, verzeiht der Hirsch einen Stimmlagenwechsel nicht. Damit die Brunftschreiimitation gelingt, muss der Weidmann der den Hirschruf ausübt eine gewisse Musikalität besitzen und eine gewisse Feinfühligkeit an den Tag legen, um einschätzen bzw. erkennen zu können, in welcher Stimmung sich der Hirsch befindet, dem das Interesse gilt. Wer zum Beispiel einem Kontrahenten mit zu starker Stimme begegnet, riskiert , dass dieser umgehend verstummt oder nicht selten sogar das Weite sucht. Tendenziell hat der ältere Hirsch eine tiefere Stimme. Doch das ist nicht unbedingt das einzige Kriterium. Mehr verrät uns die Intensität des Meldens. Ein alter Hirsch zum Beispiel ist kein permanenter Brüller.

Eine tiefe Männerstimme in Basslage ist meines Erachtens zum «Hirscherufen» von Vorteil, aber nicht unbedingt entscheidend. Vielmehr geht es darum, die Gefühlslage des ausgewählten Hirsches unter all den andern Stimmen zu erkennen und entsprechend auf ihn zu reagieren. respektive ihm richtig zu antworten oder eine entsprechende Stimmung und Reaktion bei ihm auszulösen. Die richtige Handhabung des Hirschrufes bedarf einiges an Übung und Erfahrung und sollte anfangs unter Anleitung eines versierten Rufjägers im Revier angewendet werden. Wobei die verschiedenen Rufe davor zu Hause geübt werden sollten.

Diverse Lockinstrumente
Neben dem klassischen Ochsenhorn oder dem Tritonschneckengehäuse verwenden viele Berufskollegen, wie ich übrigens auch, den Eifelhirschrufer. Der «Eifelhirschruf» ist ein zweiteiliges Kunstharzrohr, das sich zusammenschieben lässt. Er ist leicht, lässt sich gut und griffbereit um den Hals hängen und erlaubt es, nach Belieben, die Stimme etwas voller zu modulieren. Vor allem wenn der Hirsch beim Röhren das Haupt nach hinten neigt und die Stimme voller und tiefer wird, lässt sich dies mit dem Eifelhirschrufer relativ einfach imitieren, weil die Steckhülse ausgezogen werden kann. Wenn der Jäger durch diesen im ausgezogenen Zustand ein langgezogenes «aua», also «aauuuaahh» ruft und ihn dabei langsam zusammenschiebt, dann erklingt der täuschend echte Suchruf. Wenn man einen Hirsch direkt anschreit, dann ruft der Weidmann ein scharfes und kurzes «auu» in den zusammengeschobenen Ruf hinein und zieht ihn dabei schnell auseinander. Es ist schwierig, diese Aktionen schriftlich genau zu erklären. Man sollte sie, wie oben erwähnt, am besten zusammen mit einem erfahrenen Rufjäger 1:1 üben. Dazu werden in einigen Regionen auch spezielle Hirschrufseminare angeboten, bei welchem die Grundlagen erklärt und die verschiedenen Rufe in der Praxis gleich unter Anleitung von «Könnern» geübt werden.

Gängige Situationen in der Praxis
Bei mir persönlich findet der Hirschruf vorwiegend in drei verschiedenen Situationen seine Anwendung. Zum einen nutze ich ihn, um Hirsche zu finden, die ich im ausgewählten Revierteil vermute. Mit dem «entsprechenden Röhren» sollen bisher noch stumme oder müde Hirsche animiert werden, zu antworten, um so mir ihren Standort zu verraten.

Eine weitere Situation, in der ich Rufimitationen anwende, ist, wenn sich in meiner Umgebung suchende Hirsche melden, die sich nicht wie gewünscht zeigen wollen. Hier funktioniert die «Eifersuchtsmasche» gut. Durch den Ruf eines beim Kahlwild stehenden Hirschen, sollen so diese willigen Hirsche zum Zustehen gebracht werden. Erfahrungsgemäss lassen sich gerade junge und mittelalte Stiere damit sehr gut locken.

Champions League: Platzhirsch
Die grösste Herausforderung ist mit Sicherheit, einen reifen Hirsch, der bereits beim Kahlwild steht, zum Zustehen zu «überreden». Um an diesen meist älteren Hirsch zu kommen, müssen wir ihn in seiner Brunftstube angehen können. Er wird nicht auf Teufel komm raus die Konfrontation suchen und dadurch sein Rudel im grösseren Radius unbewacht zurücklassen. Auch kann ein junger Schneider den Platzhirsch schlecht provozieren. Wenn wir diesen Hirsch sehen wollen, müssen wir ihm mit Persönlichkeit entgegenstehen und ihn mit allen Facetten der Brunft angehen. Der Wind muss passen, ein Auge richten wir immer auf das Kahlwild, und das Szenario müssen wir realistisch gestalten. Wir brechen Äste, lassen Steine kullern, schnauben ...Neben dem Kampfruf und dem Sprengruf dürfen wir das nasale Melden der Alttiere, das sogenannte mahnende Alttier, nicht vergessen. Dabei dürfen wir uns ruhig auch mal drehen und in eine andere Richtung rufen als immer nur unserem Kontrahenten entgegen. Diese Kombination in seiner unmittelbaren Nähe hält der Platzhirsch meist nicht aus. Oft kommt der König des Waldes nun im flotten Troll mit einschüchterndem Imponiergehabe direkt auf uns zu. Manchmal schleicht er aber auch unscheinbar heran, dass wir nur das Anstreichen seiner Stangen an den tief herabhängenden Ästen hören. Spätestens jetzt muss die Entscheidung für den Schuss fallen.

Das aufmerksame Kahlwild, das meist kurze Zeitfenster zum sicheren Ansprechen, sowie die oft wechselnden Windverhältnisse am Berg, bilden die grössten Herausforderungen. Schon eine kleine Windbrise, ein Hauch eines Windstosses, kann die ganze Show beenden. Wer aber sein Revier und seine Hirsche kennt, sich sorgfältig um das Kahlwild kümmert und den Hirschruf beherrscht, kann unvergessliche Brunftszenen oft auf kurze Schussentfernung erleben. Und doch ist auch für den besten Ruf- und Lockjäger unser Weidwerk zum Glück nicht programmierbar. Das wäre auch langweilig. Es kann immer anders kommen, als man denkt, gerade während der hormongesteuerten Brunft. Niemand hält so gute Überraschungen bereit wie Mutter Natur oder in diesem Fall unser heimisches Rotwild.

 

Text: Gianni Parpan, Fotos: Marcel Castelli, Christoph Burgstaller und Karl-Heinz Volkmar

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