Schwarzwildpirsch im Wald

Die Pirsch auf Schalenwild im verschneiten Wald, insbesondere auf Schwarzwild, ist zweifelsohne für viele Jäger die Königin der Jagd. Worauf es bei der Waldpirsch ankommt, welche Selbstdisziplin sie von uns fordert, und wie man sich im Wald richtig und erfolgreich bewegt, erklärt uns Berufsjäger Gianni Parpan.

Veröffentlicht am 22.11.2022

Der Reiz, die Sinne des Wildes mit Gespür, Taktik und mittlerweile auch Technik zu überlisten, findet sich nirgends so ehrlich und direkt wieder, wie bei der Pirsch im Wald. Die Fähigkeit, lautlos zu schleichen und uns unbemerkt zu bewegen, die wir wohl alle in unserer Kindheit durch Cowboy- und Indianer-Spiele geschärft haben, schlummert immer noch irgendwo tief in jedem Jäger und in jeder Jägerin. Gerade bei vielen jungen Grünröcken findet diese aktive Jagdmethode heute wieder grossen Anklang. Ältere Weidmänner dagegen sind oft skeptisch gegenüber der Waldpirsch, wurden in der Vergangenheit doch schon mehr Reviere leer gepirscht, als leer geschossen.

Revierkenntnis
Im Gegensatz zur Feldpirsch, wo man die Sauen und ihre Bewegungsmuster im Feld beobachten, studieren und auch kennenlernen kann, setzt die Pirsch im Wald eine sehr grosse Vorkenntnis über die Gegebenheiten im Revier und die Gewohnheiten des Wildes darin voraus. Die Schneelage eignet sich beispielsweise bestens, um das Bewegungsmuster der Sauen im Revier aufgrund des Fährtenbildes rekonstruieren und daraus wertvolle Erkenntnisse für die Pirsch gewinnen zu können. Wo liegen beliebte Frassplätze, Wildäcker, Suhlen, Mast- und Mahlbäume, Kirrungen, Misthaufen, und je nach Jahreszeit und Wetterlage, die Wechsel und Einstände der Schwarzkittel? Neben dieser Kenntnis über das Verhalten des Wildes im Revier kennt der Pirschjäger den Verlauf von Strassen, Wegen und Pirschwegen, Brücken, Reviereinrichtungen, Bächen, Wasserflächen und Reviergrenzen sehr genau. Er weiss, wo sich Windwurf- und Holzeinschlagflächen, Rückegassen, Dickungen und eingezäunte Schonungen befinden. Er hat durch Erfahrung und den offenen Augen im Revier einen Plan im Kopf, weshalb das Wild, wann wohin ziehen wird. Unzureichende Kenntnisse dieser Gegebenheiten führen im Umkehrschluss fast zwangsläufig zu Fehlpirschgängen, zu jagdlichem Misserfolg und einer grossen Beunruhigung aller Wildarten im Revier.

Der richtige Zeitpunkt
Das schöne und gute an der Waldpirsch ist, dass sie nicht zwingend an die dunkle Nacht gebunden ist, dafür jedoch an Jahreszeiten. Wir sollten uns ausschliesslich nur im Herbst und im Winter zu Pirschgängen in die «Sauenecken» verleiten lassen. In den Saat- und Sommermonaten, wenn die Felder in der Saat oder Frucht stehen, sollte auf eine Bejagung der Sauen im Wald komplett verzichtet werden. Sobald die Maisschläge gedroschen sind und die Bäume kein Laub mehr tragen, steht der Pirsch im Wald nichts mehr im Wege. Gerade im Winterwald steigen zur Morgendämmerung, und in ruhigen Revieren bis in den Vormittag hinein, die Chancen, noch auf Sauen zu stossen – vornehmlich dann, wenn Keiler sich bei den rauschigen Stücken einer Rotte eingefunden haben. Vielfach ist die Rotte derart mit sich selbst beschäftigt, dass man sie in lückigen Beständen vorsichtig angehen kann. Nachts favorisiere ich die Mondscheinpirsch im Winterwald. Sie gehört sicherlich zu den Sternstunden der Jagd. Aber gerade deswegen, weil diese Erlebnisse so verlockend sein können, sind dabei vom Jäger Selbstbeherrschung und Selbstbeschränkung gefragt. Zwingend auch, wenn wir das vorkommende Schwarzwild vertraut im Revier als Standwild behalten möchten. Wenn wir nun auch noch die Nachtzeit intensiv zur Wald-Bejagung nutzen, findet das Wild überhaupt keine Ruhe mehr – dies sollte uns besonders im Winter nachdenklich stimmen. Selbst das nächtliche Durchsitzen an der Kirrung belastet das Wild, wenn auch nicht so stark wie die Pirsch. Stimmen die Rahmenbedingungen mit geringem Jagddruck, guten Frassbedingungen und weiträumigen Einständen im Revier, spricht nichts gegen eine massvolle Winterpirsch.

Windverhältnisse sind unterschiedlich
Der Wind ist auch bei der Waldpirsch das A und O. Wir sollten nie mit falschem Wind pirschen. Auch bei wechselndem Wind sollten wir nicht versuchen, auf Biegen und Brechen ans Wild heran zu kommen. Besser das Wild grossräumig umschlagen oder die Pirsch ganz abbrechen, als es für Wochen oder Monate zu vergrämen. Die Windverhältnisse können im Wald lokal sehr unterschiedlich sein und sich plötzlich ändern. Daher ist es wichtig, regelmässig, und bei einem Wechsel in einen anderen Revierteil sogar unumgänglich, den Wind erneut zu überprüfen. In kleinen Waldkomplexen, die kaum 100 Hektar Grösse haben, sollte man vom Pirschen komplett absehen. Man «verpirscht» die Sauen nur. Kommt zudem anderes Hochwild im Revier vor, muss die Pirsch in diesen Mond- und Schneenächten, zumindest im Kernbereich, gänzlich unterbleiben. Die Störungen sind zu gross. Vor allem das nun auch im Mittelland immer mehr aufkommende Rotwild reagiert sehr empfindlich darauf.

Pirschwege und Pirschpfade anlegen
Aufgrund unserer Revierkenntnisse und den aktuellen Beobachtungen, sowie der Hauptwindrichtung im Revier, sollte ein Plan erstellt werden, zumindest im Kopf, wie man seine Pirschroute angehen will. Ideal zum Pirschen eignen sich vorzugsweise saubere Pirschwege, Holzabfuhrwege, Waldränder und breite Fernwechsel – sofern wir sie nahezu geräuschlos begehen können. Rückegassen liegen zumeist voll mit Ästen und von der Holzernte gebrochenen Stämmen. Leise pirschen ist dort oft kaum möglich. Auf mit Split oder Kies bedeckten Forststrassen kann man zwar gut und bequem gehen, diese sind aber ebenfalls, auf Grund ihrer Geräuschkulisse beim Auftreten, völlig ungeeignet zum Pirschen. Zu besonders vielversprechenden Stellen wie Suhlen, Malbäumen, Kirrstellen oder Mastbäumen, lohnt es sich im Vorfeld, kurze Pirschwege zu errichten und diese zu pflegen. Die Anlage solcher Pirschwege sollte parallel zu den Hauptwechseln verlaufen und diese nicht zu nah vor dem Einstand kreuzen. Meine persönlichen Pirschwege starten alle erst einige Meter im Bestand drin; dies aus dem Grund, um damit nicht Wanderwege für Unbefugte zu schaffen, die Unruhe in den Wald tragen. Wichtig ist auch, dass Pirschwege, die nachts zur Bejagung von Schwarzwild begangen werden, nicht durch die Einstände von anderen Wildarten führen, da deren Schrecken oder Mahnen die Sauen vertreibt und grosse Unruhe in den Wald bringt. Und das Allerwichtigste: Dickungen sind heilig und bleiben immer frei von Wegen und Pirschpfaden.



Weiches Wetter und die Ohren nutzen
Zu Beginn eines Pirschgangs müssen die Sauen erst einmal gefunden werden. Dies ist der wichtigste Teil, die grösste Challenge und die hohe Kunst der Waldpirsch: Entdecken, bevor man selber entdeckt wird! Da im Wald der Einsatz von einer Wärmebildkamera wegen der Bewaldung und des Unterbewuchses nur bedingt und nur auf kurze Entfernungen möglich, aber dennoch zwingend ist, benutzt der Jäger vor allem sein geschultes Gehör. Fressendes Schwarzwild verursacht laute Eigengeräusche, die bei Auseinandersetzungen, Futterneid in der Rotte oder gerade in der Rauschzeit zum Teil weithin hörbar sind. Ideal für solche Unternehmungen ist «weiches Wetter», also aufklarender Wolkenhimmel nach Regen, Neuschnee oder auch Tauschnee. Feuchte Böden, nasses Laub oder leichter Wind und Regen schlucken unsere Eigengeräusche, und es lässt sich Erfolg versprechend pirschen. Das Wild ist bei solchen Verhältnissen meist auf den Läufen und zieht. Insbesondere nach ein paar Tagen Schneefall treibt der Hunger die Sauen, und sie sind tagsüber meist aktiver als sonst. Witterungsbedingt ändert sich ständig auch der Untergrund. Wo man bei Regenwetter noch geräuschlos durch den herbstlichen Laub-Hochwald pirschen konnte, ist ein unbemerktes Durchkommen zwei Tage später bei sommerlichen Temperaturen kaum mehr möglich. Das Gleiche gilt für den oben erwähnten Schnee. Kurz nach dem Schneefall noch ideal für eine geräuschlose Revierrunde, ist das Ganze einen Tag später bei überfrorenem Schnee und Harsch zum Scheitern verurteilt. Pirschen heisst auch, sich flexibel einer neuen Situation anpassen.

Mittagsstunden Erfolg versprechend
Man könnte meinen, dass sich im Wald, wie beim Ansitz klassisch, die Morgen- und Abenddämmerung am besten zur Pirsch eignen. Wenn ich aber meine Schussbücher studiere, stelle ich fest, dass ich die meisten Sauen bei der Waldpirsch um die Mittagszeit bei Schneelage erlegt habe. Ich versuche mir das so zu erklären, dass die Sauen zur Dämmerung beim Verlassen und Einwechseln in die Einstände um einiges wachsamer sind, als in den Mittagsstunden. Taktisch geschickt ist es, den zu bepirschenden Bereich im Vorfeld beim Morgen- oder Abendansitz auszukundschaften und sich bei bestem Licht in den Mittagsstunden auf die Pirsch zu machen. Dann, wenn sich das Wild in den sonnigen, windgeschützten Freiflächen niedergetan hat. Will oder kann der Jäger nur in den Abendstunden zur Pirsch aufbrechen, sollte er bedenken, dass im Wald ohne Schnee das Büchsenlicht meist eine Dreiviertelstunde früher schwindet, und er entsprechend zeitig aufbrechen sollte.

Wie bewege ich mich?
Wenn möglich pirschen wir immer in den dunkelsten Bereichen unserer Pirschroute, nutzen Schatteneffekte aus und vermeiden, dass sich unsere Silhouette gegen die Sonne oder den Vollmondschein abhebt. Es lohnt sich, an die Umgebung angepasste Tarnkleidung zu verwenden. Während des Pirschgangs versuchen wir die menschliche Silhouette kompakt und geschlossen zu halten. Beim richtigen Pirschschritt setzt der Jäger nicht die Ferse zuerst auf, sondern versucht, mit der Fussspitze zuerst Bodenkontakt zu fassen, dann flach aufzutreten und gleichzeitig stabil auf dem gerade nicht bewegten Bein zu stehen, so dass ein Umsetzen des bewegten Fusses jederzeit möglich ist. Um die Balance zu halten, ist dabei ein Pirsch- oder Zielstock nicht nur beim Schiessen von grossem Vorteil. Geht es abseits von Pirschwegen ohne leisen Untergrund ans Wild, hilft es oft, die Schuhe auszuziehen und sich barfuss oder in Socken dem Wild zu nähern. Dadurch hat man ein besseres Gefühl für den Untergrund und die kleinen Hindernisse. Da mir die Kälte an den Füssen beim Pirschen immer die Freude getrübt hatte, habe ich mir zu diesem Zweck in einem Wassersportgeschäft dünne Neoprenfüsslinge gekauft, welche diese Problematik linderten und ich jedem barfuss Pirschenden empfehlen kann.



Fremdgeräusche im Wald
Einen knackenden Ast oder raschelndes Laub halten die Sauen in der Regel wesentlich besser aus, als für die Natur untypische Geräusche wie metallisches Klicken, knarrendes Leder oder das Klicken von Kunststoffverschlüssen. Gerade in einer sternenklaren, kalten Januarnacht hört man diese naturfremden Geräusche, zumindest gefühlt, kilometerweit. Aus diesem Grund sollte z.B. die Sicherung an der Waffe absolut geräuschlos funktionieren und die Waffe beim Gehen nicht an Knöpfe, Hosenträger oder Kunststoffscheiden von Jagdmessern stossen. Auch sollte die Munition niemals lose in der Hosentasche klimpern, sondern sicher und geräuschlos in einem Etui verwahrt werden. Ein einfacher akustischer Test, den ich von meinem Lehrmeister gezeigt bekommen habe, zeigt uns die akustischen Defizite zuverlässig auf: In einer ruhigen Ecke im Revier sollten wir mal den elektronischen Gehörschutz auf höchste Stufe drehen und mit Waffe, Feldstecher, Rucksack und Pirschstock ein paar Meter gehen. Der daraus resultierende Aha-Effekt ist erfahrungsgemäss meist recht gross…

Schwarzwildkontakt im unübersichtlichen Gelände
An eine im Wald im Gebrech stehende Rotte muss man so dicht wie möglich heran, damit möglichst alle Stücke angesprochen und zugeordnet werden können. Vorsicht gilt es hier bei Naturverjüngungen und Brombeerflächen walten zu lassen, denn dort können wir leicht eine Sau übersehen. Anfangs bin ich so oft in den Wind dieser übersehenen Sauen reingepirscht. Diese sind dann warnend abgegangen und haben die ganze Rotte mitgenommen! Aber aus Fehlern lernt man. Ich habe meine Sinne durch einen einfachen Trick geschärft. Mittlerweile bilde ich alle meine Vorstehhunde so aus, dass sie auf der Waldpirsch an der Pirschleine mit dabei sind und mir jede noch so gut versteckte Sau still und leise anzeigen. Mit Geduld und Spannung wartet dann der erfahrene Jäger den richtigen Moment für den sicheren Schuss auf das auserlesene Stück ab. Vor dieser Schussabgabe ist unbedingt sicherzustellen, dass ein ausreichender Kugelfang aus Erde vorhanden ist. Anders als beim Ansitz mit seinem sich durch die erhöhte Sitzposition fast automatisch ergebendem Kugelfang, kann dies bei der Pirsch, z.B. auf einem Hochplateau im Wald, zur Herausforderung werden. Der Schuss selber geht dann vom Pirschstock oder an einem Baum angestrichen auf die Reise in sein Ziel. Nach dem Schuss wird unverzüglich nachgeladen und das Umfeld konzentriert beobachtet, denn die restlichen Sauen gehen gerade bei guter Bodenvegetation im Wald oftmals nicht gleich flüchtig ab, sondern sammeln sich erst einmal. Für einen firmen Jäger, der souverän die Übersicht behält, ist es so gelegentlich möglich, dass er auf ein weiteres Stück aus derselben Rotte zu Schuss kommen kann.

Die Pirschjagd im Holz, mit all ihren Facetten, ist wahrscheinlich die herausforderndste Jagdmethode von allen. Egal, ob zur Elchjagd in Alaska, zur Hirschjagd in Ungarn oder, wie eben beschrieben, im heimischen Revier auf Sau. Eine gute Waldpirsch, in der der Jäger im Unterholz auf Tuchfühlung geht, ist ein Jagderlebnis sondergleichen. Sie fordert neben einem fundierten weidmännischen Können ein hohes Mass an Konzentration, Nerven, Ausdauer und Instinkt: echtes ursprüngliches Jagen.

 

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